Textprobe aus der Serie: »Tiere am Abend«
Gutenachtgeschichten - ausgestrahlt
im »Betthupferl« des
Bayerischen Rundfunk
Jeden Abend - kurz vor dem
Einschlafen Felix ist fünf Jahre alt. Seine Schwester Pia ist fast drei Jahre älter. Jeden Abend, wenn Mama und Papa »Gute Nacht« gesagt haben, und das Licht ausgeknipst ist, kommen die kleinen Tiere ins Zimmer und erzählen einander von spannenden Abenteuern und lustigen Streichen, von fröhlichen Festen und vergnüglichen Spielen. Abend für Abend lauschen Pia und Felix bis zum Einschlafen, was die Tiere berichten. Manchmal behauptet Felix, es wären keine Tiere da. Er sagt sogar, Pia würde sich die Tiere ausdenken und mit verstellter Stimme ihre Geschichten erzählen. Und dann knipst er das Licht an, um nachzusehen. »Nein, ich bin das nicht«, sagt Pia jedes Mal. »Das sind echte Tiere. Und wenn du das Licht ausmachst, kommen sie bestimmt zurück.« Felix knipst das Licht wieder aus. Erst tut sich nichts. Dann hört er leises Scharren. Flinke Füße trippeln über Pias Bettdecke. »Ah«, ertönt eine fiepsige Stimme. »Wie gut, dass es wieder dunkel ist. Erzählst du jetzt weiter, liebe Wander- ratte?« »Ich weiß nicht, ich weiß nicht, liebe Haselmaus«, sagt die Wanderratte mit etwas tieferer Stimme. »Ich mag es nicht, wenn andauernd das Licht angeht. Wo mich heute doch auch schon die Katze über die Felder gejagt hat. Da will ich wenigstens nachts meine Ruhe haben.« »Du bist gejagt worden?«, fragt die Haselmaus. »Erzähl doch Mal.« »Aber wehe, das Licht geht wieder an. Dann komme ich nie mehr wieder«, sagt die Wanderratte streng. Felix hütet sich, das Licht noch einmal anzumachen. Vielleicht versucht er es morgen Abend noch mal, seine Schwester zu ertappen, wie sie die Stimmen der Tiere nachmacht. Aber heute will er wissen, wie die Wander- ratte der Katze entkommen ist. »Die Katze war mir dicht auf den Fersen«, erzählt die Wanderratte. »Den halben Tag hatte sie mir schon nach- gestellt. Mit letzter Kraft erreichte ich den Bach und sprang kopfüber hinein. Ich tauchte eine Stunde. Und dann noch eine Stunde.« Felix kicherte leise. Die Wanderratte übertrieb wieder einmal maßlos - aber was anderes konnte man von ihr nicht erwarten. »Na, na, na«, sagt die Haselmaus. »Na gut«, sagt die Wanderratte, »vielleicht waren es auch nur fünf Minuten. Jedenfalls wartete die Katze am Ufer da- rauf, dass ich wieder auftauchte. Ich hatte schon fast keine Luft mehr, da fiel mir ein, wen ich um Hilfe bitten könnte. Die Spuckkröten. Wie es der Zufall wollte, hatten die nämlich gerade Streit mit der Katze. Das wusste ich. Also, nichts wie hingetaucht, bevor es zu spät war. Die Spuckkröten hatten sofort einen Plan. Sie versammelten sich unter Wasser direkt vor der Katze. Dann füllten sie ihre großen, breiten Mäuler randvoll mit dem erfrischenden Nass und auf mein Zeichen prusteten sie los und spritzten die Katze pudelnass. Tja, da hatte die Katze genug und ist abgezogen. Wie köst- lich schmeckte doch die Luft, als ich endlich wieder auftau- chen konnte. Gerade noch rechtzeitig. Ja, ja. So war das mit der Katze heute. Und jetzt bin ich müde und will schlafen.« »Ja«, sagt die Haselmaus. »Ich auch. Gute Nacht.« »He, Felix, gute Nacht«, flüstert Pia leise. Doch Felix gibt nur noch ein wohliges Brummen von sich. Also kuschelt sich auch Pia in ihre Decke. Sie dreht sich noch einmal um und schläft ebenfalls ein.
|