Textprobe aus: »Toms Geschichten« - ausgestrahlt im  
Bayerischen Rundfunk 

 

SPUK IM GÄSTEZIMMER

Tom springt auf, als hätte ihn jemand durch die Matratze in den Hintern 
gekniffen. Im alten, muffig riechenden Gästezimmer seiner Großeltern 
scheint es zu spuken. Allerdings kann sich Tom nicht erinnern, dass 
ihm das früher schon einmal aufgefallen wäre. Wie auch? 
In der Vergangenheit ist er, wenn er Oma und Opa besucht hat, nach 
dem Zubettgehen immer sofort eingeschlafen. Heute Nacht jedoch ist 
an Schlaf nicht zu denken. Irgend etwas stimmt nicht. Die Frage lautet: 
WAS? 
Zwar mag Tom nicht wirklich an Geister und Gespenster glauben. Aber 
kann man in diesem Punkt jemals sicher sein? Er schließt probehalber 
die Augen. Das ächzende Knarren der Bodendielen, das er eben noch 
gehört hat, ist wieder verstummt. Hat er doch schon geschlafen und nur 
schlecht geträumt? War das Geknarre und Geknarze nur Einbildung? 
Noch einmal sieht er sich um und kann nichts ungewöhnliches entdecken. 
Er legt sich wieder hin, kuschelt sich in die Decke und versucht sich mit 
tiefen Atemzügen zu beruhigen. Kaum hat er die Augen wieder zu, ist 
es auch schon wieder vorbei mit der Ruhe. Das sind doch eindeutig 
Schritte! Vorsichtig blinzelt Tom durch die halb geschlossenen Lider. Da! 
An der Wand. Eine dunkle Gestalt. Im Licht der Straßenlaterne vor dem 
Fenster wiegt sie hin und her, um ganz plötzlich zu erstarren. Hat sie etwa 
mitbekommen, dass Tom sie gesehen und beobachtet hat? Dir werde ich 
es zeigen, denk er und schließt erneut die Augen - um sie im nächsten 
Moment wieder aufzureißen. Ha! Erwischt. Sie hat sich wieder bewegt! 
Die Figur mit der krummen Hakennase ist Tom ein winziges Stückchen 
näher gekommen. Glaubt die etwa, er würde so etwas nicht mitbekommen? 
Von wegen. Tom ist ja nicht doof. Nur in Panik darf er jetzt nicht geraten. 
Keine hektischen Bewegungen . Tom beginnt stumm zu zählen. Rückwärts. 
Bei Hundert fängt er an. Ein alter Trick, mit dem er es immer wieder schafft, 
sich zu beruhigen. Sicher wird das jetzt auch wieder funktionieren! Also, 
immer schön weiterzählen. Ganz ruhig, ... siebenundachtzig ..., Geister und 
Gespenster - so ein Quatsch, ... fünfundsechzig ..., da! Schon wieder ein 
Geräusch! Ein leises, regelmäßiges Kratzen. Direkt unter Toms Ohr! Oder 
hat er bloß den Kopf gedreht und das Rascheln der Kissenfedern lauter 
wahrgenommen, als es eigentlich ist? Vermutlich ist alles nur Einbildung. 
Was ist heute nur in ihn gefahren? ... zweiundvierzig, ... allmählich schlägt 
Toms Herz wieder im gewohnten Takt. Sobald er bei Null angekommen ist, 
wird er so ruhig sein, dass er auch einschlafen kann, ... dreiunddreißig ... 
alles still, ... neunzehn, achtzehn, siebzehn ..., die Augenlider werden schwer, 
sein Zählen wird langsamer, gleich wird er alle unheimlichen Gespenster 
vergessen haben, ... sechzehn, fünfzehn, ... DA WAR ES WIEDER! Dieses 
leise und doch schrille Scharren. Als kratzte jemand mit spitzem Nagel über 
eine Tafel. Ein Geräusch, das Tom durch Mark und Bein jagt. Was kann das 
sein? Erneut reißt er die Decke vom Leib, springt auf, haut mit der Hand auf 
den Lichtschalter, um den unheimlichen Störenfried zu stellen! Geblendet 
vom Licht der Deckenlampe, sucht Tom das Zimmer ab. Die Beine breit, das 
Kissen in der Hand bereit zum Wurf, entdeckt er auf dem alten Frisiertisch 
der Großmutter - eine winzige, graue Maus. Mit kleinen, angstvoll geweiteten 
Knopfaugen starrt sie ihren riesigen Widersacher an. Während Tom langsam 
das Kissen sinken lässt, sucht die Maus ihr Heil in der Flucht. Die kleine Füße 
treten auf der Stelle, die kleinen Krallen quietschen auf der Glasplatte des 
Frisiertischs. Endlich findet das Mäuschen Halt, wird schneller, springt vom 
Tisch und ist auch schon nicht mehr zu sehen. Es trippelt und raschelt noch 
ein wenig unterm Bett -  dann herrscht Stille. Weg ist sie. Tom atmet tief durch 
und legt sich wieder hin. Bevor er das Licht ausmacht, ein letzter Kontrollblick. 
Das altmodische Rosenmuster an der Wand ist wirklich eine Beleidigung für 
die Augen. Noch nie zuvor hat er die fürchterliche Tapete so genau betrachtet. 
Nun entdeckt er zwischen Blättern, Zweigen und Dornen in Form einer dicken 
Blütenknospe die Hakennase von vorhin. Tom schüttelt den Kopf. Gespenster. 
Lächerlich! Und von einer kleinen Maus oder altmodischen Blütenknospe an 
der Wand wird er sich in dieser Nacht sicher nicht mehr erschrecken lassen. 
... vierzehn, dreizehn, zwölf, elf ... schon bei der Sieben ist er eingeschlafen.

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