Leseprobe aus: 



illustriert von Iris Hardt
Ravensburger 2001

Halloween - nichts für Vampire 

Evi Ramp summt gut gelaunt vor sich hin. Sie 
fiebert dem fröhlichen Fest entgegen, das heute
Nacht steigen soll. Außerdem erwartet sie Besuch 
von Gustl Bauer, ihrem lieben Freund vom Land. 
Von Jahr zu Jahr freut sie sich mehr auf Halloween. 
Die Zahl der Menschen, die sich in der Halloween-
nacht verkleiden, wird immer größer. Die einen 
setzen Masken auf und gehen als Werwölfe, die 
andern tragen Monsterkostüme. Viele schieben 
sich falsche Zähne in den Mund, schminken ihre 
Gesichter totenblass und spazieren als Vampire 
durch die Straßen. 
Sich zu verkleiden hat Evi Ramp natürlich nicht 
nötig. Schließlich ist sie eine echte Vampirin. Mit 
Urkunde der transsilvanischen Vampirgesellschaft. 
Trotzdem malt sie sich schmunzelnd eine Blutspur 
in den Mundwinkel und tupft weißen Puder auf ihre 
Wangen. Kaum ist sie fertig, klopft es auch schon 
an ihrer Gruft. Schwebenden Schrittes eilt Evi zur 
Eichentür, um ihren Freund zu empfangen. »Aber 
Gustl, wie siehst du denn aus?«, ruft Evi lachend, 
als sie ihren Gast erblickt. Er trägt ein kariertes 
Hemd, bayerische Lederhosen und einen Filzhut 
mit Gamsbart. »Das nenne ich wirklich eine 
gruselige Aufmachung.« 
Gustl Bauer sieht an sich hinunter. »Nicht wahr?«, 
erwidert er stolz. »Als du gesagt hast, dass sich 
die Menschen an Halloween verkleiden, bin ich 
sofort in einen Kostümverleih gegangen.« 
»Aber die Menschen verkleiden sich zu diesem 
Anlass doch ganz anders. Sie schlüpfen in 
Kostüme, die ihren normalerweise Angst machen.«
»Ja?«, fragt Gustl. »Aber so etwas muss 
ihnen doch Angst einjagen.« Er dreht sich einmal 
um die eigenen Achse. 
Evi Ramp zuckt kichernd mit den Schultern. »Ich 
weiß ja nicht.« 
Gustl Bauer wechselt das Thema. »Und was 
geschieht, wenn sich alle verkleidet haben?« 
»Na, was schon? Die Leute erschrecken einander 
und beißen sich gegenseitig in den Hals.« 
»Klingt viel versprechend.« 
»Natürlich beißen sie nicht wirklich zu.. Sie tun nur 
so als ob. Wir Vampire haben an Halloween 
allerdings freie Auswahl. Du wirst sehen - in ihrer 
Festlaune strecken dir alle den Hals entgegen und 
lassen sich ohne jede Gegenwehr beißen.« 
Ihr Freund vom Land kann es gar nicht glauben. 
»Sie laufen nicht wie üblich schreiend davon?« 
Evi Ramp winkt ab. »Aber nein. Sie halten auch 
uns für verkleidete Menschen.« 
Gustl Bauer reibt sich die Hände. »Dann nichts wie 
los.«
Wenige Minuten später brechen sie auf in die 
Dunkelheit. In der Stadt herrscht ungewohnter 
Trubel . Unzählige Werwölfe, Vampire, Franken-
steins und andere Monster ziehen durch die 
Straßen. Gustl ist der einzige, der Lederhosen 
trägt. Die feiernden Menschen knurren, fauchen 
und kreischen, um sich gegenseitig zu erschrecken. 
Manche falle sich lachend um den Hals und tun 
so, als würden sie einander beißen. Evi stürzt sich 
sogleich ins Getümmel. Noch bevor ihr erstes 
Opfer merkt, dass es sich in Evis Fall um eine 
leibhaftige Vampirin handelt, ist es bereits zu spät. 
Gustl steht zögernd am Rand und weiß nicht so 
recht, wie er sich verhalten soll. Bald ist seine
Begleiterin in der Dunkelheit verschwunden. 
Auch Evi verliert ihren Gast aus den Augen und 
versucht, ihn zu finden. Aber das Durcheinander 
ist viel zu groß. Evi gibt die Suche auf, um sich den 
schier unbegrenzten Möglichkeiten dieser Nacht zu 
widmen. Genießerisch wandelt sie von einem Hals 
zum nächsten. Erst kurz vor dem Morgengrauen 
kehrt Evi satt und zufrieden in ihre Gruft zurück. 
Plötzlich hält sie misstrauisch inne. 
An der hinteren Friedhofsmauer liegt neben Evis 
gut verstecktem Eingang eine Gestalt. Mehr kann 
Evi in der Dunkelheit nicht erkennen. Sie zögert. 

Hat sich etwa doch ein Vampirjäger an ihre Fersen 
geheftet? Vorsichtig tritt sie näher. »He, Sie! 
Suchen Sie etwas?«, spricht sie die Gestalt an. 
Ein fröstelndes Zucken zieht über das zusammen- 
gekauerte Wesen. Evi tritt näher. »Hallo? Geht's 
Ihnen nicht gut?« 
Unendlich langsam hebt die Gestalt den Kopf. 
»Evi?« 
»Gustl? Bist du es wirklich?« 
»Was noch von mir übrig ist«, haucht Gustl. 
»Komm schnell rein. Sonst erwischt uns die 
Morgensonne«, sagt Evi Ramp. Unter Ächzen und 
Stöhnen schleppt sie ihren Freund in die Gruft und 
verfrachtet ihn auf ihr Sofa. Im flackernden Licht 
einiger Kerzen erkennt sie, in welch zerrupftem 
Zustand Gustl Bauer bei ihr angekommen ist. 
Seinen Filzhut hat er verloren, das Hemd ist 
zerfetzt, selbst die Lederhose hat Risse. »Erzähl 
doch«, fordert Evi ihren Gast auf. »Was war denn 
los?« 
Gustl berichtet, dass er schon beim ersten 
Versuch, jemanden zu beißen, ausgelacht wurde. 
Beim zweiten Versuch wurde er von seinem Opfer 
auf übelste Weise beschimpft. Das dritte Opfer 
schließlich rief um Hilfe, die auch prompt kam. 
»Wenn ich nicht im letzten Moment davon- 
gekommen wäre, hätten sie mich windelweich 
geprügelt. Ich hasse Halloween.« 
Evi schüttelt den Kopf. »An Halloween hat es nicht 
gelegen.« 
»Woran denn sonst« fragt Gustl beleidigt. 
»Du warst nicht schrecklich genug verkleidet.« Evi 
zeigt auf seine Lederhose. 
Gustl Bauer zuckt hilflos mit den Schultern. »Es 
War das schrecklichste Kostüm, das ich finden 
konnte.« 
Für Menschen ist es anscheinend nicht 
schrecklich genug.«

ebenfalls bei Ravensburger erschienen:

Ill.: Wilfried Gebhard
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ISBN 3-473-34458-3
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