Leseprobe


Titel-Illustration: Eva Czerwenka
ISBN 978-3-451-70812-1; Euro 8,90
 

Bademoden und Unterwäsche

Pias Telefon klingelte. Eigentlich war 
es viel zu heiß, um zu telefonieren. 
Auch wenn der Sommer laut Kalender 
noch nicht einmal begonnen hatte, 
war die Luft in ihrem Zimmer zu warm, 
zu drückend, zu schwer. Bei solchen 
Temperaturen blieb einem der Hörer 
am Ohr kleben. Auf dem Bett liegend 
angelte Pia mit den Fingerspitzen 
nach dem Telefon. Wehe, es war 
nicht wichtig! »Wer stört?«
»Guten Tag, Udo Flach von der 
deutschen Medien AG. Spreche ich 
mit Pia Bellini?«

Flach? Medien AG? Nie gehört. »Tut mir Leid, Sie müssen die 
falsche Durchwahl erwischt haben. Sie wollten sicher die Hotel-
rezeption?« Als Tochter einer Hoteleigentümerin war es Pia 
gewohnt, am Telefon gegenüber Fremden immer sachlich und 
höflich zu bleiben.
»Nein, nein! Sie sind doch Pia Bellini?«
Pia zögerte. »Ähm, ja.«
»Dann habe ich Ihnen eine erfreuliche Mitteilung zu machen. Sie 
haben gewonnen. Wenn Sie mir einen Augenblick Ihrer kostbaren 
Zeit schenken und mir ein paar Fragen beantworten, besteht die 
Chance auf attraktive Zusatzpreise. Ach, übrigens – ich sehe auf 
der Teilnehmerkarte gerade das Geburtsdatum – darf ich noch 
Du sagen?«
»Ähm, ja.« Auch dass Pia am Telefon gesiezt wurde, kam häufig 
vor. Leute, die im Hotel Bellevue anriefen, konnten nicht davon 
ausgehen, dass sich am anderen Ende ein zwölfjähriges Mädchen 
meldete. Ebenso wie ihre beiden Geschwister verfügte Pia über 
einen eigenen Anschluss in ihrem Zimmer. Weil die 13 in Hotels 
aus Aberglaube so gut wie nie vergeben wird, hatte Pia sogar ihre 
Lieblingszahl als Durchwahl bekommen. Auch an ihrer Zimmertür 
hing eine 13. Die hatte Pias Papa für sie angeschraubt. Vor vielen 
Jahren, als er noch bei ihnen wohnte. Am liebsten wäre es Pia ja 
gewesen, ihr Zimmer würde auch noch im 13. Stockwerk liegen. 
Aber leider verfügte das Bellevue nur über drei Etagen. Jedenfalls 
war Pias Aberglaube genau umgekehrt gepolt als bei den meisten 
anderen Leuten. Wovor sich viele fürchteten, galt für Pia als Glücks-
bringer. Wie die Zahl 13 – oder den rabenschwarzen Kater Mefisto 
des Bellevue, den Pia heiß und innig liebte.
Im Moment konnte sich Pia allerdings nicht erinnern, an einem Preis-
ausschreiben teilgenommen zu haben. Zumindest nicht in letzter Zeit. 
»Teilnehmerkarte?«, fragte sie unsicher. 
Ihr Gesprächspartner ging nicht auf ihre Frage ein, sondern verkün-
dete im Jubelton: »Du hast alle zwölf Fragen unseres literarischen 
Rätsels richtig beantwortet! Wohin dürfen wir den Gewinn schicken? 
Die Adresse auf deiner Antwortkarte ist leider unleserlich. Sie 
scheint in den Regen geraten zu sein.«
Die wollten also nur ihre Adresse haben, um säckeweise Werbung 
ins Haus schicken zu können. Nicht mit Pia! Sie setzte sich auf der 
Bettkante zurecht. Bevor sie den Typen telefonisch zusammenfalte-
te, kramte sie noch einmal in ihrem Gedächtnis, ob sie in letzter Zeit 
nicht doch bei einem Preisausschreiben mitgemacht hatte. Sie woll-
te schließlich niemandem Unrecht tun. Ihr fiel jedoch nichts ein. 
Klarer Fall - einer dieser Werbeanrufe, in denen einem Gewinne in 
Millionenhöhe versprochen wurden, wenn man vorher Ware im Wert 
von zwei Millionen bestellte. »Nun passen Sie mal auf: Ich hab 
erstens überhaupt nichts beantwortet«, sagte Pia und versuchte den 
Ton zu treffen, den ihre Mutter bevorzugte, wenn sie sich mit unange-
nehmen Gesprächspartnern auseinandersetzen musste. »Und wenn 
Sie zweitens auch nur noch ein einziges Mal anrufen, werde ich 
drittens Ihre Nummer, die ich im Display meines Telefons habe, an 
unseren Anwalt weitergeben. Auf Nimmerwiederhören.« Mit der Num-
mer im Display zu drohen, war nur ein Bluff. Pias Telefon verfügte 
nicht einmal über eine digitale Nummernanzeige. Sie reckte sich, um 
den Hörer aufzulegen.
»Pia! Halt!«, erkannte sie im letzten Augenblick Jonas’ Stimme. »Ich 
bin es doch!«
»Jonas?«, fragte Pia und ärgerte sich vor allen Dingen darüber, dass 
sie ihren Freund nicht erkannt hatte und ihm auf den Leim gegangen 
war. Vor einiger Zeit hatte sie Jonas beiläufig erzählt, seine Stimme 
würde sich am Telefon so fremd anhören, dass sie manchmal nicht 
sofort wusste, wer dran war. Seitdem kam er ständig mit mehr oder 
weniger intelligenten Telefonscherzen daher. Hoffentlich hatte sie 
sich bald daran gewöhnt, dass Jonas’ Stimme von Tag zu Tag tiefer 
klang.
Im Moment kicherte er allerdings sein altes Kinderkichern. »War cool, 
oder? Eigentlich wollte ich nur Bescheid sagen, dass ich heute Nach-
mittag keine Zeit habe.«
»Und was ist mit Schwimmbad?«
»Geht nicht. Muss zum Friseur. Außerdem soll es noch Gewitter geben.«
»Deine Haare sind doch gar nicht so lang. Ist ja richtig schade um die 
Kohle.«
»Du kennst doch meine Eltern. Meine Oma feiert am Wochenende 
ihren Hundertfünfundzwanzigsten oder so. Da hab ich anständig aus-
zusehen.«
»Wie alt wird deine Oma?«
»75. Glaub ich. Oder 80. Vielleicht auch erst 70. Oder eben 125. Keine 
Ahnung.«
»Wo steckst du denn gerade?«
»Unten«, sagte Jonas. »An eurer Rezeption. Ich könnte wieder mal 
locker alle Zimmerschlüssel mitnehmen, die Kasse aufbrechen und 
euren Kater entführen. Außer Mefisto ist weit und breit kein Schwein 
zu sehen.«
»Mefisto ist kein Schwein. Und die Kasse ist leer. Außerdem hat unser 
Restaurant heute Ruhetag und Gäste haben wir im Augenblick auch 
kaum welche.«
»Ist denn nicht schon so richtig Saison? Irgendwas macht ihr verkehrt.«
»Hm. Weiß nicht. Ist wohl eher Pech zurzeit. Erst gestern hat eine Reise
gruppe mit 12 Le
uten abgesagt«, erklärte Pia. »Die wollten eigentlich 
am Freitag kommen und eine Woche bleiben.«
»Und wenn keine Gäste da sind«, sagte Jonas, »setzt Waldemar euren 
Kater auf den Empfangstresen und macht sich vom Acker?«
»Waldemar macht sich nicht vom Acker«, nahm Pia den dienstältesten 
Mitarbeiter des Hotels in Schutz.
»Es kann aber wirklich jeder rein hier, wenn niemand da ist«, beharrte 
Jonas.
»Mama Mia hat ihm freigegeben. Weil sowieso nichts zu tun ist.« Zumin-
dest, wenn sie mit anderen über sie redete, nannte Pia ihre Mutter wie 
auch die meisten anderen Menschen, die Frau Bellini nahe standen, 
Mama Mia. Wegen ihres Vornamens und ihres manchmal aufbrausen-
den Temperamentes. Weshalb anstelle von Waldemar nicht Pias große 
Schwester Bea am Empfang saß, war Pia allerdings im Moment eben-
falls ein Rätsel. Erst baggerte Bea Mama Mia an, für eine Aufbesserung 
des Taschengeldes Rezeptionsdienst schieben zu dürfen, und dann war 
sie nicht da, wenn jemand reinkam. Aber vermutlich war Bea nur mal 
eben für kleine Mädchen und kehrte jeden Augenblick wieder zurück. 
Jonas’ Sicherheitsbedenken hielt Pia jedenfalls für reichlich übertrieben. 
Ein Hotel hatte nun mal offen zu sein. »Ich hab eine Idee«, wechselte 
sie das Thema.
»Na prima. Wie gut, dass ich keine Zeit habe«, sagte Jonas.
»Genau darum geht es ja.«
»Um meine Zeit?«
»Ja. Und um dein Geld. Ich schneide dir die Haare und wir teilen uns die 
Kohle.«
»Quatsch.«
»Von wegen Quatsch. Komm einfach hoch, damit ich sehen kann, wie wir 
deinen Mopp wieder flott kriegen.« Ohne seine Antwort abzuwarten, legte 
Pia auf und griff nach der neuesten Ausgabe ihres Lieblingsmagazins. 
Als Jonas an die Tür mit der 13 klopfte, lag sie bäuchlings auf dem Bett 
und suchte nach einer schicken Frisur, die sie Jonas verpassen könnte. 
»Der Nächste bitte!«, rief sie Richtung Tür.
Jonas ließ sich neben ihr aufs Bett plumpsen. »Das mit dem Haare-
schneiden – das ist nicht dein Ernst?«
Pia interpretierte seine Frage als Einverständniserklärung und schlug ihm 
mehrere Haarschnitte vor: Stoppelschnitt, glatt nach hinten gegeelt, Mini-
zopf und Irokesenkamm. Jonas lehnte einen wie den anderen ab. »Dann 
bleibt nur noch Glatze«, stellte Pia fest. »Ist auch am einfachsten. Ich leih 
mir mal eben Beas Rasierer, mit dem sie sich immer die Beine glatt 
schabt.« Sie sprang auf und ging zur Tür ...

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