Flach? Medien AG? Nie gehört. »Tut mir Leid, Sie
müssen die
falsche Durchwahl erwischt haben. Sie wollten sicher die Hotel-
rezeption?« Als Tochter einer Hoteleigentümerin war es Pia
gewohnt, am Telefon gegenüber Fremden immer sachlich und
höflich zu bleiben.
»Nein, nein! Sie sind doch Pia Bellini?«
Pia zögerte. »Ähm, ja.«
»Dann habe ich Ihnen eine erfreuliche Mitteilung zu machen. Sie
haben gewonnen. Wenn Sie mir einen Augenblick Ihrer kostbaren
Zeit schenken und mir ein paar Fragen beantworten, besteht die
Chance auf attraktive Zusatzpreise. Ach, übrigens ich sehe
auf
der Teilnehmerkarte gerade das Geburtsdatum darf ich noch
Du sagen?«
»Ähm, ja.« Auch dass Pia am Telefon gesiezt wurde, kam häufig
vor. Leute, die im Hotel Bellevue anriefen, konnten nicht
davon
ausgehen, dass sich am anderen Ende ein zwölfjähriges Mädchen
meldete. Ebenso wie ihre beiden Geschwister verfügte Pia über
einen eigenen Anschluss in ihrem Zimmer. Weil die 13 in Hotels
aus Aberglaube so gut wie nie vergeben wird, hatte Pia sogar ihre
Lieblingszahl als Durchwahl bekommen. Auch an ihrer Zimmertür
hing eine 13. Die hatte Pias Papa für sie angeschraubt. Vor
vielen
Jahren, als er noch bei ihnen wohnte. Am liebsten wäre es Pia ja
gewesen, ihr Zimmer würde auch noch im 13. Stockwerk liegen.
Aber leider verfügte das Bellevue nur über drei Etagen.
Jedenfalls
war Pias Aberglaube genau umgekehrt gepolt als bei den meisten
anderen Leuten. Wovor sich viele fürchteten, galt für Pia als Glücks-
bringer. Wie die Zahl 13 oder den rabenschwarzen Kater Mefisto
des Bellevue, den Pia heiß und innig liebte.
Im Moment konnte sich Pia allerdings nicht erinnern, an einem Preis-
ausschreiben teilgenommen zu haben. Zumindest nicht in letzter
Zeit.
»Teilnehmerkarte?«, fragte sie unsicher.
Ihr Gesprächspartner ging nicht auf ihre Frage ein, sondern verkün-
dete im Jubelton: »Du hast alle zwölf Fragen unseres
literarischen
Rätsels richtig beantwortet! Wohin dürfen wir den Gewinn
schicken?
Die Adresse auf deiner Antwortkarte ist leider unleserlich. Sie
scheint in den Regen geraten zu sein.«
Die wollten also nur ihre Adresse haben, um säckeweise Werbung
ins Haus schicken zu können. Nicht mit Pia! Sie setzte sich auf
der
Bettkante zurecht. Bevor sie den Typen telefonisch zusammenfalte-
te, kramte sie noch einmal in ihrem Gedächtnis, ob sie in letzter
Zeit
nicht doch bei einem Preisausschreiben mitgemacht hatte. Sie woll-
te schließlich niemandem Unrecht tun. Ihr fiel jedoch nichts ein.
Klarer Fall - einer dieser Werbeanrufe, in denen einem Gewinne in
Millionenhöhe versprochen wurden, wenn man vorher Ware im Wert
von zwei Millionen bestellte. »Nun passen Sie mal auf: Ich hab
erstens überhaupt nichts beantwortet«, sagte Pia und versuchte
den
Ton zu treffen, den ihre Mutter bevorzugte, wenn sie sich mit unange-
nehmen Gesprächspartnern auseinandersetzen musste. »Und wenn
Sie zweitens auch nur noch ein einziges Mal anrufen, werde ich
drittens Ihre Nummer, die ich im Display meines Telefons habe, an
unseren Anwalt weitergeben. Auf Nimmerwiederhören.« Mit der Num-
mer im Display zu drohen, war nur ein Bluff. Pias Telefon verfügte
nicht einmal über eine digitale Nummernanzeige. Sie reckte sich,
um
den Hörer aufzulegen.
»Pia! Halt!«, erkannte sie im letzten Augenblick Jonas Stimme. »Ich
bin es doch!«
»Jonas?«, fragte Pia und ärgerte sich vor allen Dingen darüber,
dass
sie ihren Freund nicht erkannt hatte und ihm auf den Leim gegangen
war. Vor einiger Zeit hatte sie Jonas beiläufig erzählt, seine
Stimme
würde sich am Telefon so fremd anhören, dass sie manchmal nicht
sofort wusste, wer dran war. Seitdem kam er ständig mit mehr oder
weniger intelligenten Telefonscherzen daher. Hoffentlich hatte sie
sich bald daran gewöhnt, dass Jonas Stimme von Tag zu Tag
tiefer
klang.
Im Moment kicherte er allerdings sein altes Kinderkichern. »War
cool,
oder? Eigentlich wollte ich nur Bescheid sagen, dass ich heute Nach-
mittag keine Zeit habe.«
»Und was ist mit Schwimmbad?«
»Geht nicht. Muss zum Friseur. Außerdem soll es noch Gewitter geben.«
»Deine Haare sind doch gar nicht so lang. Ist ja richtig schade um
die
Kohle.«
»Du kennst doch meine Eltern. Meine Oma feiert am Wochenende
ihren Hundertfünfundzwanzigsten oder so. Da hab ich anständig aus-
zusehen.«
»Wie alt wird deine Oma?«
»75. Glaub ich. Oder 80. Vielleicht auch erst 70. Oder eben 125.
Keine
Ahnung.«
»Wo steckst du denn gerade?«
»Unten«, sagte Jonas. »An eurer Rezeption. Ich könnte wieder
mal
locker alle Zimmerschlüssel mitnehmen, die Kasse aufbrechen und
euren Kater entführen. Außer Mefisto ist weit und breit kein
Schwein
zu sehen.«
»Mefisto ist kein Schwein. Und die Kasse ist leer. Außerdem hat
unser
Restaurant heute Ruhetag und Gäste haben wir im Augenblick auch
kaum welche.«
»Ist denn nicht schon so richtig Saison? Irgendwas macht ihr verkehrt.«
»Hm. Weiß nicht. Ist wohl eher Pech zurzeit. Erst gestern hat eine
Reise
gruppe mit 12 Leuten
abgesagt«, erklärte Pia. »Die
wollten eigentlich
am Freitag kommen und eine Woche bleiben.«
»Und wenn keine Gäste da sind«, sagte Jonas, »setzt Waldemar
euren
Kater auf den Empfangstresen und macht sich vom Acker?«
»Waldemar macht sich nicht vom Acker«, nahm Pia den dienstältesten
Mitarbeiter des Hotels in Schutz.
»Es kann aber wirklich jeder rein hier, wenn niemand da ist«,
beharrte
Jonas.
»Mama Mia hat ihm freigegeben. Weil sowieso nichts zu tun ist.« Zumin-
dest, wenn sie mit anderen über sie redete, nannte Pia ihre Mutter
wie
auch die meisten anderen Menschen, die Frau Bellini nahe standen,
Mama Mia. Wegen ihres Vornamens und ihres manchmal aufbrausen-
den Temperamentes. Weshalb anstelle von Waldemar nicht Pias große
Schwester Bea am Empfang saß, war Pia allerdings im Moment eben-
falls ein Rätsel. Erst baggerte Bea Mama Mia an, für eine
Aufbesserung
des Taschengeldes Rezeptionsdienst schieben zu dürfen, und dann
war
sie nicht da, wenn jemand reinkam. Aber vermutlich war Bea nur mal
eben für kleine Mädchen und kehrte jeden Augenblick wieder zurück.
Jonas Sicherheitsbedenken hielt Pia jedenfalls für reichlich übertrieben.
Ein Hotel hatte nun mal offen zu sein. »Ich hab eine Idee«,
wechselte
sie das Thema.
»Na prima. Wie gut, dass ich keine Zeit habe«, sagte Jonas.
»Genau darum geht es ja.«
»Um meine Zeit?«
»Ja. Und um dein Geld. Ich schneide dir die Haare und wir teilen uns
die
Kohle.«
»Quatsch.«
»Von wegen Quatsch. Komm einfach hoch, damit ich sehen kann, wie
wir
deinen Mopp wieder flott kriegen.« Ohne seine Antwort abzuwarten,
legte
Pia auf und griff nach der neuesten Ausgabe ihres
Lieblingsmagazins.
Als Jonas an die Tür mit der 13 klopfte, lag sie bäuchlings auf dem
Bett
und suchte nach einer schicken Frisur, die sie Jonas verpassen könnte.
»Der Nächste bitte!«, rief sie Richtung Tür.
Jonas ließ sich neben ihr aufs Bett plumpsen. »Das mit dem Haare-
schneiden das ist nicht dein Ernst?«
Pia interpretierte seine Frage als Einverständniserklärung und schlug
ihm
mehrere Haarschnitte vor: Stoppelschnitt, glatt nach hinten gegeelt,
Mini-
zopf und Irokesenkamm. Jonas lehnte einen wie den anderen ab. »Dann
bleibt nur noch Glatze«, stellte Pia fest. »Ist auch am einfachsten.
Ich leih
mir mal eben Beas Rasierer, mit dem sie sich immer die Beine glatt
schabt.« Sie sprang auf und ging zur Tür ...
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