Leseprobe -

aus dem Englischen von Werner Färber:

Pete Johnson: Infames Spiel 

Urachhaus 2000; ISBN 3-8251-7315-1


Titel-Illustration: Anna de Riese
Aus dem Englischen von 
Werner Färber ISBN 3--8251-7315-1;
Euro 11,90; ab 12

1

Einmal mehr fühlte sich Greg beobach-
tet.Da stand er wieder. Der Typ im 
langen, schwarzen Pulli. Direkt neben 
dem Haupteingang. Als würde er auf 
Greg warten. Greg sah hinüber zum 
Schulhof. Er witterte Gefahr.  
"Niemals Augenkontakt herstellen", 
hatte sein Vater gesagt, als kürzlich ein 
Mann auf dem Bahnsteig lautstark und 
wahllos die Leute anmachte. Vielleicht 
war das auch jetzt die richtige Taktik. 
Greg holte sein Buch, das er eben erst 
weggepackt hatte, wieder aus der Tasche. 
Der Hund von Baskerville. Diesen Titel 
liebte er ganz besonders. 

 

Schon seit zwei Wochen trug er das Buch mit sich herum. 
Seit seinem ersten Tag an dieser Schule. Es war wie ein 
alter Freund für ihn. Gleich kam er an eine der spannend-
sten Stellen. Sherlock Holmes und Doktor Watson im Moor. 
Greg las weiter. 
Der Junge ging ihm entgegen. Greg hielt das Buch fast vors 
Gesicht. Sein Herz klopfte wie wild. Wenn er doch einfach 
in die Geschichte verschwinden könnte; sich dort verste-
cken, bis der Typ vorbei wäre. Er starrte so angestrengt auf 
die Seiten, dass ihm die Buchstaben vor den Augen ver-
schwammen. 
Schneller als er reagieren konnte, schnappte sich der Junge 
Gregs Aktenkoffer. 
Greg sah ihn an. »Was soll das?«
Der Junge ignorierte die Frage. Er untersuchte den Koffer, 
strich mit den Fingern darüber, hielt ihn hoch, schüttelte. 
»Was ist da drin?« 
»Meine Stifte, mein Füller und Schulbücher. Was geht dich 
das an?« 
Der Junge gab keine Antwort. Er schnupperte am Koffer. Die 
Nase dicht an der Oberfläche, sog er genießerisch die Luft 
ein, den Geruch von Leder. Dieser Geruch war das Einzige, 
was Greg an seinem Aktenkoffer mochte. Leder. Den Koffer 
selbst hätte er nie im Leben haben wollen. Eine Sporttasche 
wäre ihm lieber gewesen - blau oder dunkelrot - er hatte 
sogar ein paar Marken genannt. Aber seine Eltern hatten ihn 
unbedingt überraschen wollen; sie hatten extra darauf ge-
spart, um ihm wirklich den besten kaufen zu können. Jedes 
Mal, wenn sie Greg damit sahen, strahlten sie. Er wirkte ein-
fach ungeheuer intelligent. Dass man mit so einem Koffer 
keinen guten Stand hatte, kapierten sie nicht. Vielleicht soll-
te er ihnen doch einmal all die Witze und dummen Bemer-
kungen erzählen, die man sich mit so einem Koffer einhan-
delte. Aber das brachte er nicht übers Herz. 
Der Junge sah Greg an. »Ziemlich nobel, was?« 
»Ich kann ihn auch nicht leiden. Meine Eltern haben ihn 
gekauft. Da kann man nichts machen.« Greg zuckte mit 
den Schultern und lächelte den Jungen hoffnungsvoll an. 
Der verzog keine Miene. 
»Ich weiß, dass er schrecklich ist.« Er bettelte förmlich um 
Vergebung; schließlich konnte er nichts für den schlechten 
Geschmack seiner Eltern; er hoffte, dass der miese Eindruck 
nicht an ihm haften blieb, sondern am Koffer. 
Greg nahm seinen Mut zusammen. »Kann ich ihn jetzt 
bitte wieder haben?« 
Die Augen des Jungen blitzen kurz auf. Er mochte zwei, 
drei Jahre älter sein als Greg, war allerdings nicht sehr groß. 
Er ließ die Schultern hängen. Seine Arme wirkten lang und 
schlaksig. Das rötlich braune Haar war äußerst kurz ge-
schnitten, seine Haut wirkte teigig und war voller Sommer-
sprossen. Seine Augen waren blass und seltsam ausdrucks-
los. Der schwarze Pullover hatte Löcher. »Darf ich ihn ein 
Stück für dich tragen?«, fragte er höflich. 
Wie sollte Greg darauf reagieren? Schon die ganze letzte Woche 
hatten ihn die großen ausgelacht, wenn er sich verlaufen
hatte und nach dem Weg fragen musste. Und jetzt bot sich 
plötzlich einer an, ihm den Koffer zu tragen. 
Der Junge lächelte. Allerdings mit nur einer Gesichtshälfte. 
Greg wurde immer unwohler, wagte aber nicht das Angebot 
auszuschlagen. Der Junge schlenderte neben ihm her, als 
wären sie beste Freunde. »Wie heißt du?«, fragte er. 
»Greg. Und du?« 
»Neil.« Seine Stimme klang gedämpft, heiser. »Mit dem 
Ding kommst du daher wie ein richtiger Bürofritze.« Wie-
der das halbe Lächeln. 
Greg lachte verlegen. Nur um überhaupt etwas zu sagen, 
meinte er: »Was hast du für eine Schultasche?« 
»Ich? Keine … Ich brauch keine. Hab noch nie eine ge-
braucht.« 
Darauf fiel Greg nichts ein. Schweigend gingen sie weiter. 
Auf den Fluren wimmelte es von Leuten. Doch Neil hatte es 
nicht nötig sich durchzudrängen. Ihm schienen alle aus 
dem Weg zu gehen. 
Greg war erleichtert, als sie seinen Klassenraum erreichten. 
Er zeigte auf die Tür. »Ich muss hier rein.« 
»Ich weiß«, erwiderte Neil, betrat den Klassenraum und 
stellte den Koffer auf Gregs Tisch. Wie ein Diener. 
»Vielen Dank«, stieß Greg hervor. 
»Keine Ursache.« Mit einer kaum sichtbaren Verbeugung 
fügte er leise hinzu: »Wir sehen uns.«

 ...

Gespannt, wie es weitergeht? 
Es ist nicht die letzte Begegnung zwischen Neil & Greg ...

 

 

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