Familie
Hollerbach Der
Lottogewinn
»Brauchst
du noch länger?«, fragt Anna Hollerbach,
als sie am späten Samstagnachmittag Papa am
Familiencomputer vorfindet. Normalerweise ist der
PC um diese Zeit immer frei, weil Papa Fußball im
Radio hört.
»Moment«, sagt Papa. »Muss nur noch abschicken.«
Er liest die Anweisungen auf dem Bildschirm durch
und schüttelt den Kopf. Wie es scheint, begreift er
nicht, was er tun soll.
»Probleme?«, fragt Anna, nachdem er längere Zeit
keine einzige Taste gedrückt hat.
»Die Kiste will meinen Lottotipp nicht annehmen.«
»Lotto?«,
fragt
Anna.
»Am
Computer?«
»Hab vergessen, den Schein abzugeben«, antwortet
Papa. »Bis ich in der Innenstadt bin, sind alle Läden
dicht.«
»Dann spielst du halt mal nicht«, sagt Anna.
»Tss, du hast gut reden«, erwidert Papa.
»Wieso? Es zwingt dich doch keiner«, sagt Anna.
»Mist«, sagt Papa, der sich zwischenzeitlich wieder
auf den Bildschirm konzentriert hat. »Passwort
Passwort. Wieso wollen die denn jetzt das Passwort
haben?« Während er seine Notizzettel auf dem Tisch
durchwühlt, wird ihm bewusst, dass seine Tochter
noch was gesagt hat: »Was meintest du gerade?«
»Ich kapier nicht, dass du Lotto spielen musst«,
antwortet Anna. »Lotto spielen ist doch freiwillig.«
»Da ist es ja.« Er tippt das Passwort ein. »Natürlich
zwingt mich keiner. Trotzdem muss
ich jede Woche
spielen. Seit es Mittwochslotto gibt, sogar zweimal.«
»Brauchen wir Geld? Werden wir erpresst?«, fragt
Anna.
Herr Hollerbach lacht. »Du siehst zu viele Krimis.«
»Seh ich nicht«, sagt Anna. »Aber du hast mir immer
noch nicht erklärt, warum du Lotto spielen musst.«
»Weil ich seit 20 Jahren immer die selben Zahlen
tippe.«
»Echt?«, fragt Anna. »Hast du schon mal was gewon-
nen?«
»Ab und zu mal ein paar Euro«, antwortet Papa.
»Mehr nicht? Warum spielst du dann nicht mal andere
Zahlen?«
»Weil ich sie auswendig kenne. Was meinst du, was
passiert, wenn ausgerechnet dann diese sechs Zahlen
gezogen würden?«
Anna überlegt. »Vielleicht würdest du dir in den Hintern
beißen?«
Herr Hollerbach nickt. »Und weil die Kiste meinen Tipp
nicht annimmt, ist die Chance, dass ich mir heute in den
Hintern beiße, genau so hoch, wie die Chance auf einen
Sechser.«
Anna blickt auf den Bildschirm. »Darf ich mal?«
»Meinetwegen. Bei mir klappt es sowieso nicht«, sagt
Papa.
Anna nimmt die Computermaus, klickt einmal, zweimal,
dreimal und noch ein viertes Mal. »Halbe-halbe?«, fragt
sie.
»Hast du den Fehler etwa schon gefunden?«
»Glaub schon«, antwortet Anna.
»Also gut, einverstanden«, willigt Papa ein. »Halbe-halbe.«
Anna klickt ein letztes Mal, schon erscheint auf dem Bild-
schirm die Nachricht, dass der Tipp angenommen ist.
»Und das wars?«, fragt Herr Hollerbach voller Zweifel.
Anna nickt.
»Und wenn doch nicht?«, fragt Papa.
»Dann wünsch ich mir, dass deine Zahlen trotzdem gezo-
gen werden«, sagt sie nach kurzer Bedenkzeit.
»Bist du des Wahnsinns?«, fragt Herr Hollerbach fassungs-
los.
Anna schüttelt den Kopf. »Wenn du meinen Computer-
künsten schon nicht traust, will ich wenigstens sehen, wie
du dir in den Hintern beißt.«
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