Auf Zehenspitzen schleichen sie an
Putzigs Glaskabine vorbei. Mit dem
Hausmeister ist nicht gut Kirschen essen. Dass er Kinder
nicht
ausstehen kann, ist kein Geheimnis. Und gegen die von der
3a hat
er eine ganz besondere Abneigung entwickelt. Schon als
sie um die
Ecke biegen, hören Benno, Ulli und Jana, dass in ihrem
Klassenzimmer
am Ende des Flurs das Leben tobt. Sie öffnen die Tür,
der Lärm
schwillt an. Die drei huschen ins Zimmer, um die Tür
schnell wieder zu
schließen. Ein paar spielen Fangen über Tische und
Stühle. »Passt doch
auf, wo ihr hintretet«, schimpft Frederike. Beinahe
hätte einer ihr
Pausenbrot plattgemacht.
»Halt die Klappe!«, bekommt Frederike zur Antwort.
Dass es in der 3a hoch hergeht, ist normal. Schon als
Erstklässler
waren die Kinder kaum zu bändigen. Spätestens seit dem
zweiten
Schuljahr hat die Klasse den Ruf, der Schrecken der
Grundschule zu
sein. Zumindest beim Hausmeister und den Lehrern. Aber
auch mit
anderen Klassen gab es Zoff. Vor allem die jetzige 4b
kann es kaum
ertragen, dass sich die Kinder der 3a mehr Gespräche
zwischen
Schulleiter und Eltern eingehandelt haben als sie. Sicher
wird sich
dieser Wettstreit zwischen den beiden Klassen auch in
diesem
Schuljahr fortsetzen. Heute, am ersten Schultag nach den
Sommerferien,
ist die 3a gespannt auf die neue Lehrerin. Alle hoffen,
dass sie netter ist
als ihre Vorgängerin. Die mochte kaum jemand leiden.
Während ein
paar Kinder weiter durchs Zimmer turnen, beobachten die
meisten
anderen, wie Benno, Ulli und Jana die Leiter aufklappen
und vor die
Tür stellen. Anton füllt einen Eimer mit Wasser und
Ilona entwirrt eine
verknotete Schnur.
»Macht schon«, drängt Ulli, der inzwischen auf der
Leiter steht. Er
lässt sich von Anton den Wassereimer reichen. 
»Ups«, sagt Ulli. Fast hätte er das Gleichgewicht
verloren. Er stellt
den Eimer auf das Regal über der Tür, befestigt die von
Ilona
entwirrte Schnur am Henkel und fädelt sie durch den
Deckenhaken.
An dem hing vergangenen Dezember der Adventskranz. Ulli
lässt
das lose Schnurende fallen.
»An die Türklinke binden. Aber straff.«
»Alles klar«, sagt Jana. Sie zieht vorsichtig an der
Schnur. Der Eimer
rutscht ruckweise in Richtung Regalkante.
»So wird das nichts«, sagt Ilona. »Der muss sofort
umkippen,
wenn man die Klinke drückt. Sonst merkt sie was.«
»Und wenn wir hinten was unterlegen?«, schlägt Jana
vor.
»Spendier uns mal deinen Ratzefummel«, sagt Anton zu
Leo, der
am Tisch neben der Tür sitzt.
»Ja, klar, nimm ruhig«, sagt Leo.
Frederike hockt mit düsterer Miene an ihrem Platz. »Ihr
spinnt. Das
könnt ihr nicht machen.«
»Ach nein?« Ulli schiebt Leos Radiergummi von hinten
unter den
Eimer. »Zieh noch mal.«
Jana zieht. Der Eimer rutscht nicht mehr, er kippt.
Beinahe schwappt
das Wasser über. »Nicht so doll! Sonst taufen wir uns
selber.«
Ulli springt von der Leiter. Die meisten finden den
Streich klasse.
Ein paar finden die Aktion bescheuert, wagen aber nicht
einzugreifen.
Benno steht Schmiere. »Sie kommt!« Die neue Lehrerin
biegt auf
dem Flur um die Ecke. »Putzig ist bei ihr.«
»Echt?«, fragt Ulli. »Wohin mit der Leiter?«
»Zum Fenster raus«, kommandiert Benno.
Zusammen mit Ulli wuchtet er die Leiter auf die
Fensterkante.
Jana drückt die Tür ins Schloss, ohne die Klinke zu
benutzen.
Sie setzt sich auf ihren Platz und kaut auf der
Unterlippe. Anton
bevorzugt seine Fingernägel. Die Leiter verhakt sich in
den Ästen
der Büsche vor dem Fenster. Ulli und Benno ziehen sie
noch
einmal herein und lassen sie dann etwas steiler hinunter.
Die Tür
bleibt zu. Gedämpft sind von draußen Stimmen zu hören.
Die
Türklinke senkt sich. Die Schnur wird straffer. Die Tür
geht noch
immer nicht auf. Scheppernd fällt die Aluminiumleiter in
die
Büsche. Ulli und Benno hasten auf ihre Plätze. Ulli
packt seine
Schultasche auf den Tisch und verschanzt sich dahinter.
Jetzt ist
die Klinke unten. Noch ein winziger Ruck und der Eimer
kippt.
Die Tür geht auf. Einen Spalt breit. Fünf Zentimeter.
Die Schnur
verliert an Spannung.
»Mist«, raunt Anton.
»Sei froh«, flüstert Gerit, sein Tischnachbar.
»Putzig ist noch
draußen.«
Die Lehrerin unterhält sich noch immer mit dem
Hausmeister.
»Ich komme schon zurecht«, sagt sie. Der Spalt wird
breiter.
Zehn Zentimeter.
»Bei denen müssen Sie von Anfang an zeigen, wer Chef im
Ring ist.«
»Chefin«, korrigiert die Lehrerin.
»Wie? Ach ja. Chefin. Hauptsache, Sie setzen sich durch.
Ihrer
Vorgängerin sind sie auf der Nase herumgetanzt. Wenn die
so
weitermachen …«
»Was dann?«, fragt die Lehrerin.
»… na ja. Sind eben alles Räuber. Da muss man
ordentlich durch-
greifen.« Putzig redet absichtlich laut. Die Kinder
sollen mitbekom-
men, dass er die Neue zur Strenge mahnt.
Der Spalt ist inzwischen etwa zwanzig Zentimeter weit.
»Räuber?«, fragt die Lehrerin. »Vielen Dank für den
Hinweis, aber
ich bin sicher, Sie übertreiben.« Noch ein Stück,
dreißig Zentimeter.
»Sie werden sehen«, sagt der Hausmeister.
Während des Gesprächs hängt die Schnur immer weiter
durch.
Damit der Eimer noch kippt, müsste die Neue die Tür
mittlerweile
schon ganz aufreißen. Aber vielleicht klappt es ja beim
Schließen.
Die Kinder halten den Atem an. Doch die Neue öffnet die
Tür ge-
rade so weit, dass sie sich rückwärts ins Klassenzimmer
schieben
kann und drückt die Tür ins Schloss. Frederike hebt die
Hand.
Murat, der hinter ihr sitzt, tippt ihr warnend auf die
Schulter.
»Klappe halten.« Frederike zuckt zusammen und nimmt die
Hand
wieder herunter.
»Guten Morgen, mein Name ist Besenbinder, ich bin eure
neue
Lehrerin«, sagt die Neue.
Die Kinder kichern. Besenbinder - klingt erst mal lustig.
Erfrischt in die Pause
Mit elegantem Schwung stellt Frau Besenbinder ihre Tasche
auf
den Tisch. Sie lehnt sich mit dem Rücken an die Tafel
und sieht
sich in der Klasse um. Für einen Moment herrscht Stille.
Durch die
geöffneten Fenster hört man die Vögel zwitschern. Eine
andere
Klasse trällert ein Sommerlied. Die Kinder der 3a sehen
einander an.
Wieso sagt die denn nichts? Ein paar fangen an zu
kichern. Andere
mustern Frau Besenbinder prüfend.
Sie ist anders als ihre Vorgängerin ...
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