Leseprobe

aus: DETEKTIVGESCHICHTEN - Ravensburger 2002;
illustriert von Wilfried Gebhard

Mord im Dunkeln

Melissa feiert ihren achten Geburtstag und hat
sieben Kinder zu Gast. Die Geschenke sind
ausgepackt, die Torte verputzt, jetzt wird gespielt.
"Mord im Dunkeln", schlägt Melissa vor. Bei den
meisten stößt sie damit auf Begeisterung.
"Kenn ich nicht", sagt Florian.
"Ich verteile acht Karten", erklärt Melissa das Spiel.
"Wer den Kreuzbuben zieht, ist der Mörder.
Dann lassen wir die Rollladen runter und machen
das Licht aus. Wenn es dunkel ist, bringt der
Mörder jemanden um …"
"In echt?", fragt David erschrocken.
"Quatsch in echt", sagt Melissa. "Der Mörder
tippt jemanden dreimal an und der Ermordete
schreit einfach nur. Dann wird das Licht wieder
angemacht und die andern müssen rauskriegen,
wer es war."
"Darf der Mörder mitraten?", fragt Benny.
"Natürlich. Sonst macht er sich ja gleich verdächtig.
Alles klar?"
Die Kinder verdunkeln das Zimmer. Melissa knipst
das Licht an und hält den anderen verdeckt acht
Karten hin. Die restlichen Karten legt sie auf den
Tisch. "Aber nichts verraten. Und wenn es dunkel
ist, keinen Mucks. Nur wer ermordet wird, darf
schreien."
Jedes Kind zieht eine Karte. Bevor Melissa das
Licht wieder ausmacht, sehen sich die Gäste noch
einmal im Zimmer um, damit sie sich später im
Dunkeln besser orientieren können. Dann herrscht
absolute Finsternis. Hier und da hört man leises
Kichern, das jedes Mal mit einem zischenden
"Schscht" beantwortet wird. Ein Rumpeln.
"Autsch!" Offenbar ist jemand gegen einen Stuhl
oder Sessel gelaufen. Endlich Stille. Knisternde
Spannung. Wer ist der Mörder? Wer wird das
Opfer? Dann ein Schrei!
"Ist jemand tot?", fragt Melissa.
"Bin nur erschrocken, weil mich jemand von hinten
angefasst hat. Tut mir Leid ", sagt Anna.
Im nächsten Augenblick schrillt allerdings der
Schrei, auf den alle mit Spannung gewartet
haben. Offenbar hat der Mörder nun tatsächlich
zugeschlagen. Doch das Opfer jammert weiter.
"Auauaua." Wessen Stimme ist es? Was ist
passiert? "Licht! - Melissa? - Was ist los?", rufen
alle durcheinander.
Endlich wird es hell. Anna hat den Schalter
gefunden. Alle blinzeln geblendet ins Licht.
Melissa presst ihre Hand gegen den Oberkörper.
"Du blutest ja!", ruft Anna entsetzt. "Ist es
schlimm?"
Melissa schüttelt den Kopf. "Nein, nur ein Kratzer."
Sie nimmt eine Stoffserviette vom Tisch und
wickelt sie fest um ihre Hand.

"Das Kuchenmesser!", ruft Florian. Er zeigt auf
den Fußboden. Inzwischen haben sich alle um
Melissa versammelt. Die roten Spuren am Messer
stammen nicht vom Kuchen. Es gab keinen roten
Kuchen. Es kann nur Blut sein. Melissas Blut.
"Welcher Idiot fuchtelt im Dunkeln mit dem Messer
rum?", fragt Melissa.
"Der Mörder, wer sonst?", sagt Anna. "Wer hat den
Kreuzbuben gezogen?", wendet sie sich sauer an
die anderen.
"Ich nicht", sagen alle gleichzeitig. Keiner will es
gewesen sein.
"Was soll das?", fragt Melissa. "Erst Mist bauen
und dann auch noch feige sein."
Anton zeigt auf den Tisch. "Ich hab meine Karte
auf den Tisch gelegt. Ich hatte Herzass."
"Ich hab meine noch." Pia zieht die Karosieben
aus der Tasche.
"Und du?", wendet sich Anna an Benny.
"Meine liegt auch auf dem Tisch."
"Und welche war es?", will Anna wissen.
"Weiß nicht mehr", sagt Benny.
Jana fällt aus allen Wolken. "Benny? Sag mal,
spinnst du?"
"Glaubst du etwa, ich … Du bist ja nicht ganz
dicht", empört sich Benny. "Überhaupt, wo ist
deine Karte?"
Jana geht zum Tisch. "Hier. Die Pikzehn war meine",
sagt sie und funkelt Benny wütend an.
"Meine liegt auch auf dem Tisch", sagt Florian.
"Ich hatte Kreuz Neun. Ich schlag vor, wir nehmen
die Fingerabdrücke am Messer."
"Ha ha", macht Anna. "Und woher nimmst du die
Ausrüstung dafür?"
"Warst du es etwa selber?", wendet sich Florian
an Anna.
Anna verdreht nur die Augen und legt triumphierend
den Herzkönig auf den Tisch.
Und auch Melissa legt ihre Karte dazu. Karobube.
Plötzlich blicken alle auf David.
Er schluckt. "Ich hab den Kreuzkönig", flüstert er
leise.
"Seltsam", sagt Melissa nachdenklich. "Dann frage
ich mich wirklich, wo der Kreuzbube geblieben
ist."
"Ganz einfach, der Täter hat die Karte im Dunkeln
vertauscht", sagt Florian. Er nimmt den Stapel und
durchsucht ihn nach dem Kreuzbuben. "Hier. Da ist
er. Ganz unten."
"Ich will nach Hause", sagt David leise.
"Wieso das denn?", fragt Melissa. "Wir dürfen doch
noch bis sechs Uhr."
David schnieft. "Ich hab aber Angst." In seinen
Augen sammeln sich Tränen.
"Beruhig dich David", sagt Florian. Mit wenigen
Schritten ist er an der Anrichte neben der Tür.
Neben Essig, Öl und verschiedenen Gewürzen
steht dort eine Flasche mit Ketschup. Florian fängt
an zu grinsen. "Ich gehe nämlich jede Wette ein,
dass Melissa überhaupt nicht verletzt ist."
"Hä?" Antons Gesicht ist deutlich anzusehen, dass
er gar nichts mehr kapiert.
Florian kehrt zum Tisch zurück und tippt auf die
Karten. "Melissa hat den Kreuzbuben gar nicht
ausgeteilt."
Schmunzelnd wickelt Melissa in diesem Augenblick
die Serviette ab und leckt das restliche Ketschup
von ihrer Hand. "Gute Arbeit, Sherlock Holmes",
sagt sie zu Florian.
"Jetzt würde ich nur noch gerne wissen, wer das
Ketschup in die andere Ecke des Zimmers
gebracht hat?", wendet sich Florian an die Gast-
geberin. "Mit wem hast du dich abgesprochen?"
"Sag bloß, das kriegst du nicht auch noch raus?",
fragt Melissa.
Florian zuckt mit den Schultern. "Weiß nicht." Er
mustert die Gäste. Dann sieht er sich im Zimmer
um. Und tatsächlich hellt sich seine Miene
plötzlich auf. "Was haben wir denn da?", fragt er
und kehrt noch einmal zur Tür zurück. Mit spitzem
Finger wischt er einen roten Fleck vom Licht-
schalter. Er leckt am Finger und nickt. "Ketschup.
Damit ist der Fall geklärt."

Wer war's?

bei Ravensburger erschienen:

Ill.: Wilfried Gebhard Ill.: Iris Hardt
Klassensatz € 5,50/ Exemplar
einzeln € 6,50
Buch bestellen; Euro 7,50
ISBN 3-473-34458-3 ISBN 3-473-34455-9

 

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