Verstopfte
Spürnase
Seit
Tagen wird die Klasse 2b von
fürchterlichem Gestank geplagt. Lüften
bringt nicht viel. Kaum sind die Fenster
wieder geschlossen, fängt es erneut an,
zu müffeln.
»Mir reicht's«, sagt Herr Lück. »Wir
werden der Sache mit kriminalistischem
Scharfsinn zu Leibe rücken. Ein Fünfer für
die Klassenkasse, wenn ihr das stinkende
Objekt aufspürt.«
»Vielleicht liegt irgendwo ein toter
Vogel«, sagt Karol.
»Iih«, rufen alle.
»Oder eine tote Maus im Schrank?«,
meint Dorit.
»Uach«, ertönt der Klassenchor.
Auch Herr Lück verzieht das Gesicht.
»Ich erhöhe die Belohnung auf einen
Zehner, Kinder. Nasen auf und los.«
»Ich hab Schnupfen«, sagt Tom.
»Hm«, macht der Lehrer. »Pech, eine
Spürnase weniger. Aber mit deiner
Erkältung hättest du sowieso lieber noch
ein paar Tage zu Hause bleiben sollen.«
»Ich wollte nichts verpassen«, näselt Tom.
»Ich weiß ja nicht«, sagt der Lehrer
zweifelnd. »Aber was ist denn, Kinder? Ihr
sucht ja noch gar nicht.«
Die Kinder heben ihre Nasen. Der Lehrer
steuert das Waschbecken an und
schnuppert am Abflussrohr. Nichts. Er hält
die Nase über den Mülleimer. Auch nichts.
Alle schnüffeln kreuz und quer durchs
Klassenzimmer. Selbst die ausgestopfte
Eule und der präparierte Karpfen im
Schrank werden verdächtigt, den Gestank
zu verströmen.
Tom bleibt sitzen. Er überprüft nur die
Ablage unter seinem Tisch. Dort findet er
sein Lineal, das er seit einer Woche
vermisst. Moment mal - das Lineal!
Er erinnert sich an den Tag, an dem er
sich gleich nach der Schule ins Bett legte.
Er fühlte sich wie eine zu heiß
gewaschene Wollsocke. Während die
anderen Kinder nach der großen Pause
noch im Klassenzimmer tobten, hockte
Tom am Platz und betrachtete lustlos sein
Pausenbrot. Obwohl es mit seinem
Lieblingskäse belegt war, wickelte er es
wieder ein und legte es auf den Tisch.
Plötzlich stolperte Sebastian auf Tom
zu. Sebastian suchte Halt, erwischte aber
nur Toms Lineal, das zur Hälfte über den
Tisch ragte. Auf dem anderen Ende des
Lineals lag Toms Pausenbrot. Das Lineal
schnellte in die Luft. Fasziniert verfolgte
Tom die Flugbahn des Pausenbrotes. Mit
mehreren Salti sauste es durchs Klassen-
zimmer. Sebastian donnerte mit dem Kopf
gegen das Tischbein. Erst unter Mithilfe
eines nassen Schwamms kam er wieder
auf die Beine. Das fliegende Käsebrot
ging im Trubel um Sebastian vollkommen
unter.
Während Tom sich an die Käseflug-
stunde der letzten Woche erinnert, beginnt
seine Nase erneut zu kitzeln, und schon
entfährt ihm ein brüllender Nieser.
Der Lehrer unterbricht die Spurensuche.
»Willst du nicht doch lieber nach Hause
gehen, Tom?«
»Gern«, sagt Tom hinter seinem
Taschentuch hervor. »War aber trotzdem
ganz gut, das ich heute zur Schule
gekommen bin.«
»Ich weiß ja nicht«, erwidert Herr Lück
zweifelnd.
»Doch, wirklich«, sagt Tom.
Er geht zur Wandtafel und zieht sie nach
unten. Er steigt auf einen Stuhl und beugt
sich über den oberen Tafelrand. Tom
zappelt mit den Beinen und kommt wieder
in ganzer Größe zum Vorschein. Zwischen
Daumen und Zeigefinger seiner rechten
Hand hält er ein schmuddeliges Päckchen.
»Was ist das denn Entsetzliches?«, fragt
der Lehrer.
»Mein Pausenbrot von letzter Woche.
Der Käse ist inzwischen wohl ein bisschen
überreif. Aber ich rieche ja nichts.«
»Und wie ist das Brot hinter die Tafel
geraten?«, fragt der Lehrer angewidert.
»Na ja - zuerst lag das Brot auf meinem
Lineal ...« Erneut fängt seine Nase an, ganz
entsetzlich zu jucken. Tom winkt ab. »Tut
mir Leid, geht nicht. Ich erzähl es später.«
Er verlässt das Klassenzimmer und
schließt hinter sich die Tür. Er zieht die
Oberlippe hoch, atmet durch den
geöffneten Mund tief ein, seine Augen
fangen an zu jucken, dann beginnen sie
zu tränen. Einen Moment später dröhnen
sieben Nieser durchs Treppenhaus.
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