Leseprobe


Illustration: Elisabeth Holzhausen
  Auszug aus Kapitel 2

...

Umringt von frei laufenden Pampas-
hasen steht die Zwergziege auf der
Wiese hinter den Bienenkörben
und knabbert Gänseblümchen.
»Was jetzt?«, fragt das Mädchen.
»Hinter den Bienen kriegen wir sie«,
flüstert Karsten, der wieder ganz in
die Rolle des Wildhüters geschlüpft
ist. »Ich gehe oben rum und ihr
unten. Wir treiben Tanja Richtung
Zaun in die Enge. Alles klar, Frau
Doktor?«
»Alles klar, Bullfrog«, flüstert Kathrin.

Das Mädchen blickt die Geschwister an, als hätten sie einen Dachschaden.
Allerdings lassen ihr Karsten und Kathrin keine Zeit, lange nachzudenken.
Die beiden pirschen sich bereits an die Ziege heran. Ebenfalls vom Jagd-
fieber ergriffen, bildet das Mädchen mit Kathrin eine Zweierkette. Nach-
dem Karsten die Bienenkörbe von der anderen Seite umrundet hat, treiben
sie Tanja gemeinsam in die Enge. Im letzten Moment durchbricht die Ziege
jedoch mit einem unglaublichen Satz den von den Kindern gebildeten Halb-
kreis. Die Jagd beginnt von neuem.
Kathrin bemerkt Kai und das damit drohende Unheil als Erste. Kai selbst
strahlt vor Freude. Immerhin hat er im Gewirr der Wege seine Geschwister
wieder gefunden. Er breitet die Arme aus, um die Zwergziege aufzuhalten.
»Pass auf!«, ruft Kathrin ihm entgegen. Zu spät. Die Zwergziege rennt Kai
einfach um. Er landet auf seinem Hintern. Brüllsirene! Ein paar Besucher
des Tierparks lachen, andere drücken bedauernd ihr Mitleid mit dem Kleinen
aus. Das fremde Mädchen rennt weiter hinter der flüchtigen Ziege her.
Kathrin und Karsten müssen sich erst einmal darum kümmern, die auf dem
Weg sitzende Lärmquelle zu beruhigen. Seit Kais Geburt lautet das Familien-
motto der Körbachs: alle für einen - einer schafft alle. Ist die Brüllsirene des
Jüngsten erst einmal in Gang, kann man sie nur schwer wieder abstellen.
Auch jetzt haben Kathrin und Karsten Mühe, Kai zu trösten. Tausend Worte,
ein Himbeereis und eine halbe Tüte Popcorn später sitzen die Geschwister
auf einer Bank am Wegesrand. Kai stopft Popcorn in Mund und Hemd-
kragen. Kathrin versucht, ihm mit Taschentuch und Spucke das verschmierte
Gesicht zu putzen. Karsten kniet vor seinem kleinen Bruder im Sand, um ihm
einen Stein aus der Sandale zu entfernen.
Von den Kindern unbemerkt, nähert sich Tierpfleger Müller der Bank. Der
Name Müller ist unter den Tierpflegern viermal vertreten. Deshalb hat jeder
von ihnen einen Beinamen bekommen. Dieser wird Giraffen-Müller genannt.
Zum einen, weil er lang und dürr ist. Zum andern, weil er unter anderem
auch für die Giraffen zuständig ist.
»Darf ich euch meine neue Tochter vorstellen?«, spricht Giraffen-Müller
das Geschwistertrio an.
Wie am Schnürchen gezogen heben die Körbach-Kinder den Blick. Gegen
die helle Sonne können sie nur den dunklen Umriss des Tierpflegers
erkennen. Giraffen-Müller scheint wieder mal bis in den Himmel zu ragen.
»Mäh!«, meckert es aus seiner Richtung. Erst jetzt bekommen die Kinder
mit, dass er die Zwergziege auf dem Arm hält.
Kathrin blinzelt gegen das Licht. »Neue Tochter?«, fragt sie zweifelnd.
Karsten lacht. »Sie haben eine Ziege adoptiert?«
»Unsinn«, sagt Giraffen-Müller. »Habt ihr nicht mitbekommen, dass ich letzte
Woche geheiratet habe?«
»Doch, natürlich.« - »Eine Ziege?«, erwidern Karsten und Kathrin gleichzeitig.
Der Tierpfleger wirft lachend den Kopf in den Nacken. »Eine Frau natürlich.
Und jetzt hab ich eine Tochter.«
»Das ist ja schneller als bei Hamstern«, sagt Karsten. Erst kürzlich hat er eine
Tabelle gesehen, in der die Tragezeit bei Säugetieren aufgelistet war. Hamster-
weibchen tragen gut zwei Wochen. Elefantenkühe dagegen fast zwei Jahre.
Menschen liegen mit ungefähr neun Monaten irgendwo dazwischen.
Giraffen-Müller lacht. »Ich rede auch nicht von einem Baby …«
»… sondern von einer Ziege«, fällt ihm Kathrin ins Wort.
Der Tierpfleger übergeht ihren Kommentar und tritt einen Schritt zur Seite.
Endlich steht er nicht mehr im grellen Sonnenlicht. Er zeigt hinüber zum
Eisstand. Erst jetzt begreifen die Körbach-Kinder, um wen es geht.
Giraffen-Müller meint das Mädchen, das sich vorhin an der Ziegenjagd
beteiligt hat. Es hat sich soeben ein Eis geholt und versucht mit spitzen
Fingern das Papier abzufummeln. »Ich rede von Paula.«
»Mäh!«, meckert die Ziege.
»Ach so«, sagt Kathrin. »Und die ist Ihre neue Tochter?«
»Dafür, dass sie neu ist, sieht sie ganz schön alt aus«, sagt Karsten.
Der Tierpfleger ruft Paula herüber, um sie den Geschwistern vorzustellen.
»Das ist Kai«, fängt er an, »das ist …«
»… Wildhüter Bullfrog«, fällt ihm Paula ins Wort, »… und Frau Doktor«,
sie zögert, »Elfenbein?«
»Stimmt«, erwidert Kathrin. »Wenn ich nicht im Dienst bin, darfst du aber
auch Kathrin zu mir sagen. Und der da heißt Karsten.«
»Ihr seid euch also schon begegnet?«, fragt Giraffen-Müller.
»Vorhin«, sagt Kathrin. »Beim Streichelzoo.«
»Da hat mal wieder jemand die Tür offen stehen lassen«, sagt der Tierpfleger
vorwurfsvoll. Einen Augenblick herrscht Schweigen. Giraffen-Müller blickt
tadelnd von oben auf die Körbach-Kinder herab. Was er damit ausdrücken
will, ist klar: Kathrin und Karsten sollen besser auf den kleinen Kai aufpassen.
»Es war meine Schuld«, sagt Paula. »Ich hab Kai die Tür aufgehalten. Zack,
waren zwei Ziegen draußen. Und nur eine ließ sich wieder reinscheuchen.«
»Bei den Bienen hätten wir Tanja fast erwischt«, sagt Karsten. »Die hat
mich einfach umgerannt«, meldet sich nun auch Kai ganz wichtig zu Wort.
»Blöde Ziege«, sagt Giraffen-Müller.
Die Kinder nicken. Alle vier.
»Passt in Zukunft besser auf«, mahnt der Tierpfleger. »Sonst lasst ihr am
Ende auch noch die Tiger frei. Kommst du mit?«, wendet er sich an Paula.
»Du kannst auch bei uns bleiben«, sagt Kathrin. 
Paulas Augen leuchten. »Ja, gerne.«




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