Leseprobe
![]() Illustration: Elisabeth Holzhausen |
Auszug aus Kapitel 2 ... |
Karsten presst die Lippen aufeinander, um nicht loszuprusten. Er hat den Namen gelesen, der in roter Schrift auf den Kittel dieses Chefpackers ge- stickt ist: Gerda Schnipkoweit. Während Karsten einen Hustenanfall vor- spielt, antwortet Kathrin ohne zu zögern: »Wir wissen nicht, welche Trockenmilch wir kaufen sollen.« Der selbsternannte Chefpacker lässt seinen Blick über die Gläschen und Packungen schweifen. »Wie alt ist das Geschwisterchen denn?« »Vier. - Bald zwei«, antworten Karsten und Kathrin gleichzeitig. »Na, was denn nun? - Verarschen kann ich mich selber.« »Zwanzig Monate«, nennt Kathrin das genaue Alter und wendet sich belehrend an ihren Bruder. »Er meint doch Bobo, du Doofi.« Karsten verdreht die Augen. "Wieso fragt er dann nach Kai?«, mault er leise zurück. Wenn ihm nicht vorher dieses blöde Namensschild aufgefallen wäre, hätte er sowieso schneller geschaltet. »Zwanzig Monate? ist das nicht ein bisschen alt für Fläschchennah- rung?«, wendet sich der Typ an Kathrin. Peng!, knallt sein Kaugummi. »Euer Scheißerchen hat wohl noch keine Zähne?«, fragt er lachend und macht schon im nächsten Augenblick ein bestürztes Gesicht. »Oder ist er irgendwie - krank?« »Bobos Mama hat Lungenentzündung«, antwortet Kathrin. »Er braucht die Trockenmilch, solange sie in Quarantäne ist.« »Kara-was?« Der Kerl in Gerda Schnipkoweits Kittel schaut Kathrin an, als würde sie chinesisch reden. Zu den Hellsten dieser Erde zählt dieser Chefpacker nicht. Das steht für Karsten fest. »Quarantäne«, wiederholt Kathrin. »Damit sich sonst niemand ansteckt.» »Sag das doch gleich.« Er wendet sich dem Regal zu. »Trocken- milch«, wiederholt er knapp. Endlich nimmt er eine Packung und hält sie ihnen hin. »Wie wärs damit?« Kathrin und Karsten lesen die Beschreibung auf der Rückseite. Kathrin nickt. »Das hat Papa gemeint.« Karsten ist nicht ganz sicher, nickt aber trotzdem. »Nicht verzagen, Andi fragen.« Karsten zeigt auf den gestickten Namenszug. »Auf dem Kittel steht aber Gerda.« Erneut muss er die Lippen aufeinanderpressen, um nicht loszuprusten. »Seh ich aus wie eine Frau?«, bollert der Chefpacker in Gerda Schnipkoweits Arbeitskleidung. »Aushilfen bekommen eben keinen eigenen Kittel.» Mit beleidigter Miene wendet er sich ab, um sich wieder seiner ursprünglichen Beschäftigung zu widmen. »Wir bräuchten aber noch etwas!«, ruft Karsten hinter ihm her. »Und das wäre?« Peng!, knallt der Kaugummi. »Windeln«, antwortet Karsten. »Seid ihr nicht schon ein bisschen groß für so was?«, fragt Chefpacker Andi und biegt sich vor Lachen. Trotzdem fordert er die Geschwister mit einer Kopfbewegung auf, ihm um die Ecke zu folgen. »Für ein Neugeborenes«, antwortet Kathrin. »Oder jünger«, ergänzt Karsten. Mit dem stumpfen Blick einer wiederkäuenden Kuh nimmt der Chef- packer Karsten ins Visier. Peng! »Verarschen ist hier nicht.« Peng! »Hab ich schon mal gesagt.« Karsten würde gerne wissen, was jetzt schon wieder verkehrt ist. Papa hat ausdrücklich gesagt, sie sollen nach Windeln für zu früh Geborene fragen. Weil Orang-Utans so dünne Beine und so wenig Hintern haben. »Er meint Windeln für Frühchen«, kommt Kathrin ihrem Bruder zu Hilfe. »Genau.« »Frühchen?« »Babys, die zu früh zur Welt gekommen sind«, erklärt Karsten. Sein Gegenüber wiehert. »Gibts auch Spätchen?« Karsten liegt das »Ja« auf der Zunge. Zu gerne würde er diesem unterbelichteten Chefpacker sagen, dass er nur in den Spiegel blicken muss. Schon würde er einen sehen, bei dem alles zu spät ist. Aber Karsten hält doch lieber den Mund. Nachdem er sich wieder gefangen hat, fragt der junge Mann voller Zweifel: »Ihr wollt Fläschchennahrung für knapp unter zwei und Windeln für ein Frühchen?« »Genau«, sagen Karsten und Kathrin wie aus einem Mund. Der Chefpacker blickt sich misstrauisch um. »Und das ist keine Verarsche oder versteckte Kamera oder so was?« »Ja! - Nein!«, antworten die Geschwister wiederum gleichzeitig. Eigentlich wollen beide nur wissen, in welchem der vielen Pakete die kleinsten Windeln stecken. »Seltsames Baby.« Der Chefpacker zieht ein Windelpaket heraus. »Kleinere haben wir nicht. - Vorsicht, schwer!« Er wirft Karsten das Paket zu. Peng!, knallt der Kaugummi. Karsten hält den Atem an, um das angedrohte Gewicht abzufan- gen. Kaum hat er das Windelpaket in den Armen, ringt er sich ein gequältes Lächeln ab. Von wegen schwer. »Jetzt noch ein paar Schnuller?«, fragt der Chefpacker. »Nein, das wars«, sagt Kathrin. Eine weitere geplatzte Kaugummiblase später wendet er sich ab. »Gute Besserung an die Frau Mama!« Peng! »Danke, ebenfalls«, murmelt Karsten. Kathrin macht eine Scheibenwischerbewegung vor ihrem Gesicht. »Dass so was frei rumlaufen darf«, sagt sie auf dem Weg zur Kasse. »Der hält Bintje für unsere Mutter.« Karsten sagt nichts, tippt sich nur an die Stirn. Sie lassen sich eine Quittung geben und bringen den Einkauf zu Frau Schopf. ...
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